Zwischenruf - Martin Wolf:Feingemacht
Meine Frau unterrichtet an einer Schule. Als es da neulich um die Wahlen ging, da hat ein junger Mann im Unterricht gesagt: Wenn er wählen geht, dann zieht er sich dazu schick an. Wählen, das sei schließlich was Besonderes. Donnerwetter, hab ich gedacht, als sie davon erzählt hat. Der junge Mann hat Recht. Wählen zu dürfen, das ist was Besonderes. Wenn ich zu besonderen Anlässen gehe, dann überleg ich mir ja auch, was ich da anziehe. Zum Vorstellungsgespräch etwa. Der Geburtstagsfeier des Kollegen. Zur Beerdigung eines Angehörigen. Klar kann man sagen: Sind doch nur Äußerlichkeiten. Entscheidend ist, dass du da bist. Aber ich glaube, das stimmt nicht ganz.
Natürlich ist heute vieles lockerer als früher. Was es oft aber auch knifflig macht, das Passende zu finden zwischen schlampig und overdressed. Aber wie ich irgendwo auftauche, hat immer auch mit Wertschätzung zu tun. Und ein stilvolles Outfit signalisiert meinem Gegenüber nun mal: Dieser Anlass ist wichtig. Und du bist mir wichtig.
In meiner Kindheit gab es noch das Wort vom „Sonntagsstaat“. Gemeint waren besonders feine Klamotten, die man eben nur am Sonntag trug. Zum Gottesdienst zum Beispiel. In abgewetzter Jeans in die Kirche? Für meine Eltern unvorstellbar. Als Jugendlicher hab ich dagegen irgendwann rebelliert – und erst viel später kapiert, dass es dabei um mehr ging als bloß eine überholte Konvention. Dass das vielmehr heißen sollte: Das hier, das ist besonders wichtig! Und deshalb: Respekt vor dem jungen Mann, der das verstanden hat.