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Lebenszeichen - Michael Kinnen:Letzte Worte

Berühmte letzte Worte - oft geheimnisvoll und voller Interpretationsspielraum. Nur nicht zuviel reindeuten, rät Michael Kinnen von der Katholischen Kirche mit seinen letzten Worten - zumindest für dieses Jahr auf dieser Welle.
Man sieht kleine grüne Pflanzen, die gerade begiinngen zu wachsen
Datum:
28. Dez. 2024
Von:
Michael Kinnen

Berühmte letzte Worte: Von Goethe heißt es, er wollte „Mehr Licht“, als er kurz darauf im hohen Alter starb - und vielleicht ins Ewige Licht einging. Dramatischer ist es etwa bei Sophie Scholl, die als junge Widerstandskämpferin gegen den Nazi-Terror hingerichtet wurde. „Die Sonne scheint noch“, soll sie gesagt haben. Und für Jesus heißt es in der Bibel schlicht und grundsätzlich als letzte Worte am Kreuz: „Es ist vollbracht!“
Berühmte letzte Worte. Wer die Zeit hat, sie sich zu überlegen, und wem das wichtig ist, der will vielleicht noch etwas für die Nachwelt hinterlassen. Andere, die mitten aus dem Leben gerissen werden - etwa durch Unfälle oder einen plötzlichen Tod - haben die Möglichkeit nicht. Und manchmal weiß man ja auch nicht, ob das, was man gerade sagt, vielleicht tatsächlich schon die letzten Worte sind - im Leben, oder auch nur bei einer Begegnung mit einem Menschen, den man danach nie wieder sieht. Letzte Worte.
So ist es mir in diesem Sommer gegangen. Ein früherer Kollege ist gestorben. Wir hatten immer mal wieder Kontakt, aber eben nicht so eng. Dass er krank war, hab ich gewusst, oder zumindest geahnt. Wir haben da nicht so drüber gesprochen bei unseren lockeren Kontakten per Mail und Chat. Auf der Facebookseite von ihm hat er in letzter Zeit immer wieder Fotos gepostet von früher - und auch von aktuellen Reisen. Irgendwie kam es mir so vor, dass er sein Leben ordnet und eine gewisse Abschiedstour macht. An Orte, die ihm wichtig waren. In unserem letzten Kontakt hat er geschrieben, dass er gerade nicht so in der Stimmung ist, mehr zu schreiben. Dass er sich meldet. Bei Gelegenheit. Das waren dann seine letzten Worte: „Dir viel Kraft und Energie für das Pendeln zwischen den Welten“. Es ging darum, dass ich beruflich etwas Neues angefangen habe und jetzt zwischen zwei Standorten pendle. Dann kam irgendwann die Nachricht, dass er gestorben ist. „Dir viel Kraft und Energie für das Pendeln zwischen den Welten.“ Ich finde das tröstlich und passend, dass zufällig das die letzten Worte waren. Auch wenn sie damals nur als Gruß und nicht als allerletzte Worte gedacht waren, höchstens geahnt. So bekamen sie dann doch ein ganz anderes Gewicht. „Dir viel Kraft und Energie für das Pendeln zwischen den Welten“, das wünsche ich auch dem Bekannten, jetzt, da er in eine andere Welt gegangen ist. Die Gedanken pendeln hin und her - zwischen dieser und der anderen Welt. Er ist da nicht einfach weg, auch wenn er gestorben ist und es keine Chats mehr mit ihm geben wird, geschweige denn, dass wir uns hier mal wieder treffen können. 
Klar, wir waren nur entfernte Bekannte, Kollegen, und zudem miteinander im Reinen; hatten keine offenen Baustellen oder Klärungsbedarfe. Das ist ja manchmal auch gefühlt oder tatsächlich anders. Da schmerzt es, wenn jemand stirbt und Dinge nicht mehr angesprochen oder geklärt werden können. Ich bin kein Freund von einem dramatischen „Versöhnen auf den letzten Metern“; wer das will und kann, gern. Aber nicht mit emotionalem Druck. Und es muss auch gar nicht, finde ich. Denn da hilft mir der Glaube: Mit dem Tod ist es eben nicht einfach aus. Es gibt eine Verbindung, die über den Tod hinaus bleibt. Und vielleicht ist in der anderen Welt mehr Verständnis für das, was hier in dieser nicht mehr geklärt werden konnte. Und vielleicht gibt es ja dort auch ein Wiedersehen, bei dem vieles leichter ist als hier. Wer weiß?
Wenn jetzt das Jahr zu Ende geht, dann sind da auch die letzten Worte im alten Jahr. Etwas, was man hinter sich lassen kann. Aber in der Zuversicht, dass ein Neues vor der Tür steht. Hier im Kleinen - und eines Tages im Großen. Denn auch mit dem Tod ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Gott sei Dank!

SRkultur Lebenszeichen:Letzte Worte