Zwischenruf - Martina Fries:Luft zum Atmen
"Ich glaube an die Sonne, auch wenn sie nicht scheint.
Ich glaube an die Liebe, auch wenn ich sie nicht fühle.
Ich glaube an Gott, auch wenn er schweigt."
Dieser Text stammt aus Köln. Von einer Kellerwand. Geschrieben während der Nazizeit von jüdischen Menschen, die sich dort versteckt hatten.
Mich beeindruckte die trotzige Kraft dieses Textes schon immer.
Mich fasziniert das Vertrauen, das er ausdrückt. Für den oder die Schreiber*in ist trotz der schlimmen Situation klar:
Auch wenn die Sonne nicht scheint im Keller, ich weiß, dass sie da ist.
Auch wenn ich gerade keine Liebe fühle, wenn ich von Menschen gehasst werde, verfolgt werde, weil ich so bin, wie ich bin, glaube ich, dass es Liebe gibt.
Auch wenn von G*tt nichts zu sehen und zu hören ist, glaube ich, dass es sie gibt.
Es ist ein kraftvoller, widerständiger Text. Er geht über das, was beweisbar, was sichtbar, fühlbar, erklärbar ist, hinaus. Er hält eine andere Dimension offen. Eine Dimension, ohne die ich nicht leben kann.
Ohne Vertrauen, ohne Hoffnung würde mir die Luft zum Atmen fehlen.
Mit der Luft ist es wie mit der Sonne, der Liebe und G*tt. Das in ihr, was mich am Leben hält, der Sauerstoff, ist nicht sichtbar. Ohne ihn ersticke ich.
Heute vor 250 Jahren hat der Brite Joseph Priestley den Sauerstoff entdeckt.
Für mich ist dieser Tag eine Erinnerung daran, dass im Leben nicht nur das wichtig ist, was ich sehe, rieche, fühle, schmecke, höre sondern auch das, was für meine Sinne unsichtbar und meinen Verstand unerklärbar ist.