Lebenszeichen - Corinna Achtermann:Tag der Stille

Heute ist eigentlich ein stiller Tag – Karsamstag. Irgendwie ein merkwürdiger Tag. Gestern, am Karfreitag, ist Jesus am Kreuz gestorben, morgen an Ostern, feiern Christinnen und Christen die Auferstehung. Und dazwischen Stille – Totenstille. Grabesruhe. In den Kirchen ist der Altar leergeräumt: Kein Altartuch, keine Blumen, keine Kerzen. Die Glocken schweigen, ebenso die Orgel.
Stille. Keine Geräusche. Alles ist ruhig.
Wenn ich mich so umsehe und vor allem höre, ist mein Eindruck ein ganz anderer. Mit Stille und Ruhe hat das, was ich wahrnehme, nämlich reichlich wenig zu tun. Da ist eher geschäftiges Treiben. Die Menschen gehen einkaufen, putzen ihre Häuser, färben Ostereier, backen Kuchen, richten die Ostergeschenke und manch einer steht schon im Stau auf der Autobahn, um in den Urlaub zu fahren. Ruhe und Stille – nicht wirklich.
Und dabei wäre doch gerade heute eine gute Gelegenheit, mal kurz innezuhalten und still zu werden. An dem Tag, an dem Christinnen und Christen weltweit die Zeit zwischen Tod und Auferstehung, das Begrabensein Jesu, aushalten müssen.
Still werden fällt aber vielen, und mir auch, sehr schwer. Denn wenn ich versuche still zu sein, dann wird es in mir plötzlich ganz schön laut. Manchmal sogar sehr laut. Das Gedankenkarussell fängt an sich zu drehen. Was muss ich noch erledigen? Was ist an Arbeit liegen geblieben? Bei wem wollte ich mich unbedingt mal wieder melden? Es ist alles andere als still in mir.
Und ja, auch heute ist es mal wieder nicht still in mir. Und ja, auch ich werde mich heute wohl noch ins Einkaufsgetümmel stürzen und einmal durch die Wohnung wischen.
Und dennoch will ich mir heute bewusst Zeit nehmen für Momente der Ruhe und Stille. Die Stille einfach mal zulassen. Denn, wenn ich sie zulasse, dann merke ich, dass sie mir guttut. Manch einer verbringt deswegen auch bewusst mal ein paar Tage im Kloster, um zur Ruhe zu kommen, einfach mal still zu werden. Zu sich kommen. Sich auf das Wesentliche besinnen. Und den Gedanken, die in der Stille hochkommen, Raum geben. Sich sortieren. Neue Energie tanken. Und natürlich auch Gott Raum geben. Das, was im lauten und stressigen Alltag oft untergeht.
Stille zulassen funktioniert bei mir aber auch nicht von jetzt auf gleich. Ich kann mich nicht einfach hinsetzen und dann klappt das schon. Was mir dabei hilft, sind Texte. Texte, die mich zur Ruhe kommen lassen. Einer, den ich besonders mag, ist ein Liedtext von Klaus Heizmann.
Da heißt es: „Meine Seele ist stille in dir, denn ich weiß: Mich hält deine starke Hand. Auch im dunklen Tal der Angst bist du da und schenkst Geborgenheit. Meine Seele ist stille in dir.“ Und weiter: „Meine Seele ist stille in dir, denn ich weiß: Du bist da und richtest auf, wie der Regen dürres Land neu belebt und zum Erblühen bringt. Meine Seele ist stille in dir.“
Ein Text, den ich gerade heute passend finde. In diesen Zeilen steckt für mich so viel Gottvertrauen. Ich kann darauf vertrauen, dass nach den Geschehnissen an Karfreitag, Gott da ist. Derjenige, der aufrichtet und bildlich gesprochen, alles wieder zum Erblühen bringt.
Hier habe ich den Jüngerinnen und Jüngern von damals schon einiges voraus. Ich weiß bereits, dass Jesus auferstanden ist. Nicht im Tod geblieben ist. Wie tröstlich. Ich weiß, dass Ostern kommt. Dass es nach der Stille des Grabes wieder laut und lebendig wird.
Deswegen ist für mich die Stille des heutigen Karsamstags nicht etwas, das ich aushalten muss, sondern etwas, dass ich bewusst aushalten und gestalten darf. Ich sehe sie als ein Geschenk. Eine Chance. Eine Möglichkeit mich auf das Wesentliche zu besinnen.
Karsamstag ist ein Tag der Stille, ein Tag der Trauer. Aber auch ein Tag voller Hoffnung. Denn ich weiß, morgen wird es wieder laut. Es wird gejubelt, gesungen und gefeiert. Dann wird Ostern gefeiert. Mit dieser Vorfreude kann ich gut heute still sein.