Zwischenruf - Dr. Martina Fries:Vom Vergessen

Ich sitze im Auto. Am Horizont geht die Sonne unter. Ich höre Musik und bin in Gedanken noch bei dem schönen Geburtstag, von dem ich komme.
Da fällt mir ein Schriftzug an einem Schuppen neben der Autobahn ins Auge. „vergiss“ ist da mit weißer Farbe gesprayt.
„vergiss“. Wer hat das wohl dahin geschrieben? Und für wen? Und warum? Und wer soll was vergessen?
Vom Vergessen erzählt auch eine Geschichte der Bibel:
Es ist der Morgen nach dem Tod Jesu. Zwei seiner Jünger sind auf dem Weg nach Hause. Eine Welt ist mit seinem Tod für sie zusammengebrochen. All ihre Hoffnungen und Zukunftspläne sind zerstört. Sie wollen nur noch weg von Jerusalem und vergessen.
Unterwegs schließt sich ihnen ein Fremder an. Er interessiert sich für sie. So erzählen sie ihm alles, was sie mit Jesus erlebt haben und wie er gekreuzigt worden ist. Das Erinnern tut ihnen gut. Zuhause angekommen laden sie den Mann zum Abendessen ein. Wie er das Brot bricht, erinnert sie an das letzte Abendmahl mit Jesus. Sie erkennen ihn in diesem Mann. Und obwohl es schon Abend ist und der Weg zurück nach Jerusalem weit, brechen sie sofort auf.
Sie haben erkannt, dass sie gar nicht vergessen müssen. Dass alles wertvoll ist. Dass alles zu ihrem Leben, ihrer Geschichte gehört. Und dass sie diese mit anderen erinnern und teilen und wachhalten wollen.
Das ist für mich eine Botschaft des heutigen Ostermontags:
Alles, was wir erlebt haben, gehört zu uns. Das Schöne und das Schreckliche. Manchmal braucht es eine Zeit des Vergessens, aber alles, was wir erlebt haben, macht uns aus, formt uns und kann eine Bereicherung sein.