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Lebenszeichen - Luisa Maurer:Was da im Himmel jetzt wohl los ist?

Über eine besonders anrührende Beerdigung, die ihr unter die Haut geht, spricht Luisa Maurer in ihrem Lebenszeichen. Und was ihr in diesem hoffnungslosen Fall doch Hoffnung gibt.
Man sieht kleine grüne Pflanzen, die gerade begiinngen zu wachsen
Datum:
7. Dez. 2024
Von:
Luisa Maurer

„Das ist Ihnen jetzt aber selbst schwer gefallen, oder?“ Ich stehe auf dem Friedhof. Die Frage stellt mir ein Angehöriger – auf einer Beerdigung, die ich als Seelsorgerin geleitet habe. Es ist ein Vormittag eines grauen Novembertages, wie er im Buche steht. 
Ich bin wirklich froh, dass dieser graue November endlich vorbei ist. Dabei mag ich die Rituale, die uns Christinnen und Christen im November an unsere Verstorbenen erinnern. Ich gehe gerne an Allerheiligen auf den Friedhof und erzähle mir mit meiner Familie Geschichten, die uns an unsere Verstorbenen erinnern. 
Und selbst den Beerdigungsdienst mache ich wirklich gerne. Wenn ich sehe, dass ich Menschen einen guten Abschied von einem geliebten Angehörigen ermöglichen kann – das ist, bei aller Traurigkeit, auf eine besondere Art und Weise etwas Schönes.
Diese Beerdigung trifft mich mehr als andere – auch aufgrund meiner eigenen Familiengeschichte.
„Das ist Ihnen jetzt aber selbst schwer gefallen, oder?“ Der Mann, der mich das fragt – ich habe in kurzer Zeit zwei seiner Angehörigen beerdigt. Kennengelernt haben wir uns bereits bei der Beerdigung seines Schwiegervaters. Nur wenige Tage nach der Beerdigung meldet sich die Familie erneut. Das Kind des Mannes ist viel zu früh auf die Welt gekommen, drei Stunden hat die kleine Melina nur gelebt.
Nun musste ich also nicht nur den Opa, sondern auch seine Enkeltochter beerdigen. Die beiden liegen nun im selben Grab. Mit Tränen in den Augen schaue ich den Vater an. Ich nicke. Ja, sehr schwer ist mir das gefallen. Und meine größte Angst war, dass man es mir zu sehr anmerken würde. Meiner Stimme oder meinen feuchten Augen. Doch ich merke: Der Vater nickt anerkennend. Der Tod seiner Tochter nimmt auch mich mit – der Vater fühlt sich in seiner Trauer gesehen.
Es ist Advent geworden. Wir gehen auf Weihnachten zu. Und wir Christinnen und Christen feiern, dass Gott Mensch wird. Und er kommt nicht als Erwachsener auf die Welt, sondern als ein kleines, verletzliches Baby. Wie verletzlich, das wird mir bewusst, wenn ich an die kleine Melina denke. Ein Baby sollte doch eigentlich immer Zukunft bedeuten. Es kommt mir so hoffnungslos vor.
Die Eltern der kleinen Melina beeindrucken mich sehr. Natürlich sind sie unendlich traurig. Doch sie verraten mir: „Es gab niemanden, der sich so sehr auf dieses Kind gefreut hat wie sein Opa. Wenigstens ist Melina nicht allein, da wo sie jetzt ist. Was glauben Sie, was da im Himmel jetzt los ist!“ 
Hoffnung, wo es eigentlich keine gibt. Und Zuversicht, wo selbst mir als Seelsorgerin es schwerfällt, welche zu sehen. Ich bin überwältigt. 
Mit dem Advent kommt für mich etwas Licht ins Dunkel. Das Kind in der Krippe wird mich daran erinnern, dass es überall Hoffnung und Zuversicht gibt. Selbst da, wo ich keine sehe. 
Ein kluger Kopf hat einmal gesagt: „Seelsorge heiligt den Seelsorger.“ Mit Sicherheit rührt mich die Geschichte von Melina und ihrem Opa an, weil auch meine Familie ein Kind verloren hat. 
Für viele - ein Tabu Thema. Seit Melinas Beerdigung habe ich mit einigen Menschen, insbesondere mit Frauen gesprochen. Fast in jeder Runde, in der ich es erzählt habe, war mindestens eine dabei, die auch ein Kind verloren hatte.
In diesem Jahr sehe ich das Kind in der Krippe mit etwas anderen Augen. Es verspricht mir Hoffnung, wo keine ist. Für Melina, für meinen verstorbenen Bruder und für alle anderen Sternenkinder auch. 

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