Lebenszeichen - Wolfgang Drießen:Was ist das für ein Gott
Es gibt Zeiten, da macht es mir der liebe Gott nicht gerade leicht. Um ehrlich zu sein, ich liege ziemlich oft mit ihm im Clinch. Und ich kenne genug Menschen in meinem Bekannten- und Freundeskreis, die mit ihm nichts zu tun haben wollen. Sie sagen: “Was ist das für ein Gott, der Menschen schafft, dann aber Pandemien zulässt, der Kinder zur Welt kommen und dann verhungern lässt, der Menschen nicht vor Flucht schützt um dann noch im Mittelmeer ertrinken lässt? Was ist das für ein Gott, der Tyrannen keinen Herzinfarkt schickt?“
Ja, was ist das für ein Gott? Ich weiß es nicht! Und ich werde, wenn ich ihm denn einmal von Angesicht zu Angesicht begegnen sollte, einige Fragen an ihn haben diesbezüglich. Aber eins ist für mich klar: ich werde ihn nicht aus der Verantwortung lassen und das heißt auch, ich werde ihn nicht loslassen und auf ihn pfeifen, wie das andere Leute tun. Dabei kann ich Menschen, die so denken, ja durchaus verstehen. Aber für mich ist das kein Weg. Ich kann nicht anders. Es geht mir irgendwie ein bisschen wie dem Jakob aus dem Alten Testament der Bibel. Im 32. Kapitel des Buches Genesis wird erzählt, wie Jakob nachts allein am Flussufer sitzt. Er wird von Zweifel und Unsicherheit geplagt. Er kann vor Sorgen nicht schlafen, denn der nächste Tag kann über Leben und Tod entscheiden. Da ringt, so erzählt es die Bibel, ein Mann mit ihm. Und wir ahnen es ja schon, Jakob ringt im wahrsten Sinne des Wortes eine ganze Nacht lang mit seinem Schicksal und mit Gott. Auch das kenne ich: wenn ich nachts wach liege und das Kopfkino anfängt. Da werden all meine Probleme noch viel größer als sie tagsüber sind. So geht’s wohl auch Jakob. Als es hell zu werden beginnt am Morgen, da will der Mann flüchten, aber Jakob hält ihn fest. “Ich lasse dich nicht los, es sei denn du segnest mich!”. Da will der Mann wissen, mit wem er da gekämpft hat: ”Wie heißt du?” “Jakob, und wer bist du?”. Und jetzt zeigt sich wieder, dass Gott mindestens zwei Seiten hat. Er nennt Jakob seinen Namen nicht, er bleibt unverfügbar, anonym. Aber er sagt: “Du jedenfalls sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel -Gottesstreiter. Denn mit Gott und Menschen hast du gestritten und gesiegt.“ Er segnet ihn, schlägt ihn aber gleichzeitig so auf die Hüfte, dass Jakob/Israel von nun an hinken muss. Was für ein seltsamer Gott. Er segnet und verwundet. Aber das ist Lebenserfahrung pur, gekleidet in biblische Geschichten. Noch eine andere fällt mir, eine der bekanntesten aus der Bibel, die von Abraham und seinem Sohn Isaak. Morgen am Sonntag, wird diese Geschichte überall in den katholischen Gottesdiensten gelesen. Abraham und seine Frau Sara sind schon alt, als Gott ein Wunder geschehen lässt. Sie bekommen einen Sohn. Denn wie sagt das Sprichwort: Für Gott ist nichts unmöglich! Doch dann zeigt Gott seine andere, seine grausame Seite. Er verlangt von Abraham seinen Sohn zurück. Abraham soll in opfern. Er will das auch tatsächlich tun, da hält ihn Gott im letzten Moment zurück.
Isaak überlebt. Vielleicht hat Gott von vornherein geplant, Isaak leben zu lassen. Aber wer weiß das schon? Was ist das für ein Gott? Wenn die Geschichte etwas lehrt, dann dieses: wenn ein Mensch sich auf Gott einlässt, weiß er nie so genau, wer Gott ist und auch nicht, was Gott will. Er kann sich seines Gottesbildes nie sicher sein.
Was ist das für ein Gott? Auf jeden Fall einer, der die Menschen auf die Probe stellt. Immer wieder. Jeden Menschen, mal mehr, mal weniger intensiv. Mal scheint Gott weit weg, manchmal spürt man ihn ganz nah. Nur fertig – das werde ich mit ihm wohl nie werden. Zu rätselhaft, zu umständlich sind mir oft seine Wege.
Übrigens: Abraham nennt den Berg, auf dem er fast seinen Sohn umgebracht hätte „Der HERR sieht“, oder: “Auf dem Berg lässt sich der HERR sehen“. Ich finde, es wäre schön, wenn er sich auch heute etwas häufiger sehen ließe. Aber vielleicht bin ich nur zu taub und zu blind dafür.